FREDI BREUNIG

Fredis Glosse

Meistersänger im Garten (Hochdeutsch)

12.05.2020
Ich weiß ja nicht, ob es daran liegt, dass wir zurzeit viel Zeit haben, aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass wir jetzt empfänglicher für die Natur sind. Mir ist noch nie so wie heuer aufgefallen, wie schön die Vögel jetzt im Frühjahr singen. Eh‘ faszinierend, wie völlig egal es der Natur ist, was ein kleines Virus heuer mit uns macht und die ganze Welt durcheinander wirft. Eigentlich aber ja nur uns Menschen, alles andere läuft völlig normal. Die Sonne geht auf und unter, die Bäume werden grün, die Tiere springen im Wald herum und bekommen von dem ganzen Drama, dass ja wirklich nur für uns eines ist, überhaupt nichts mit. Wie auch die Vögel. Ein Meistersänger ist bekanntlich die Amsel. Wunderbare Melodien werden von früh bis abends geträllert und ich kann mich gar nicht daran satthören! Wir haben eine Amsel im Garten, die ich heuer so richtig ins Herz geschlossen habe. Singt von früh bis spät mit einer Inbrunst, dass es eine Freude ist! Und ich habe mich informiert, warum das so ist. Singen tut nur das Männchen und es macht das nicht aus Spaß, sondern um sein Revier zu verteidigen. Das Amselmännchen will damit seiner Konkurrenz ständig sagen: „Achtung! Das ist mein Revier, da brütet mein Weibchen und wenn du, Nachbar, zu nahekommst, rappelts!“ Muss ja wirklich anstrengend sein, sich jeden Tag stundenlang mit nur drei Sekunden Pause zwischen den Strophen, auf einem Baum zu setzen und nur singen, damit die Frau in Ruhe die Eier ausbrüten kann. Stell dir so etwas mal bei uns Menschen vor! Deine Frau ist hochschwanger, will die letzten paar Wochen nicht mehr aus dem Haus und du als Mann musst dich vor das Haus stellen und jeden Tag 16 (!) Stunden lang singen. Mit drei Sekunden Pause zwischen den Strophen! Mit „Beim frühen Morgenlicht“ geht es los, dann „In Junkers Kneipe“, „Wahre Freundschaft“, „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ und abends wenn du hundemüde und kaputt bist: „Guter Mond du gehst so stille“. Wahnsinn, was die kleinen Vögelchen leisten! Und wir verzogenen und verwöhnten Menschenskinder wollen uns beschweren, wenn wir mal ein paar Wochen nicht aus dem Haus dürfen, nicht in die Wirtschaft oder den Baumarkt können und unsere Haare nicht schneiden lassen können. Nehmt euch ein Beispiel an den Tieren, die mit einer eisernen Disziplin ihr  - meistens kurzes - Leben meistern, ohne zu jammern. So wie die Amsel in unserem Garten. Respekt! Servus, der Eustach.

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